Blick durch grüne Bäume auf den Haupteingang des Palatinum Mutterstadt

Vierte Verlegung

Vierte Verlegung von Gedenksteinen durch den Künstler Gunter Demnig

Seit 2021 beteiligt sich Mutterstadt an der Aktion STOLPERSTEINE des Künstlers Gunter Demnig. Am Freitag, den 13.09.2024, fand die vierte Verlegung von 16 weiteren Steinen zum Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur statt. Damit befinden sich nun 78 Steine und eine Stolperschwelle auf Mutterstadts Gehwegen und Straßen.


Der Künstler setzte die 16 neuen Stolpersteine persönlich. Vorab trug er sich im Hof der Protestantischen Kirche in das „Goldene Buch“, das Buch für die Ehrengäste der Gemeinde, ein. Bürgermeister Thorsten Leva bedankte sich für sein Kommen und lobte seine Arbeit und sein Engagement, dankte den Paten und Patinnen der Stolpersteine für ihre Spenden, dem „Stolpersteine-Orga-Team“ mit Gunther Holzwarth (Büroleiter), Michael Hemberger (Öffentlichkeitsarbeit), Dr. Christina Wolf (Gemeindearchiv) und insbesondere Volker Schläfer, Ortschronist und Mitglied des Historischen Vereins. „Lassen Sie uns gemeinsam die Stolpersteine verlegen, aber auch einen festen Schritt in Richtung einer Welt gehen, in der Vielfalt und Respekt für die Würde jedes Menschen im Mittelpunkt stehen.“

Das Setzen der Gedenksteine wurde zum ersten Mal auch musikalisch begleitet. Der Liedermacher Uli Valnion nahm an mehreren Verlegestellen seine Gitarre zur Hand und sang zusammen mit seiner Frau Ute die Lieder „Die Gedanken sind frei“, „Mein Vater wird gesucht“ und „Donna, Donna“. Einige Male stimmten die Anwesenden mit ein. An jeder Verlegestelle wurden die Schicksale der Menschen, die hier lebten, vorgetragen - dieses Mal von verschie-denen Personen und sogar von zwei Stiftern der Steine selbst.

Als erstes bekam Johannes Bähr (1902-1980) einen Stolperstein vor das Pfarrhaus in der Luitpoldstraße. Bähr war von 1937 bis 1954 protestantischer Pfarrer in Mutterstadt und wurde von den Nazis verhaftet, weil er sich für die Juden im Ort einsetzte und sich nicht einschüchtern ließ. Pate für diesen Stolperstein ist Eberhard Dittus, Beauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz für die Gedenkstättenarbeit und der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, der das Leben von Johannes Bähr für die Anwesenden zusammenfasste. Vier Nachfahren des Pfarrers waren extra nach Mutterstadt zur Verlegung des Steines gekommen: die Schwiegertochter Doris Bähr, Schwiegersohn Thomas Merten, Enkel Christoph Bähr und Tochter Renate Lemmert.

In der Luitpoldstraße 22 lebte die Familie Löb: Mutter Helene (1880-1963) und die drei Töchter konnten in die USA fliehen und überlebten. Vater Hermann (* 1879) starb 1939 eines natürlichen Todes. Hier stellte Silke Feichtl-Külper, die den Stein für Tochter Lilli Löb (1907-2006) stiftete, das Schicksal der Familie vor. So musste sich Lilli vor der Flucht in Deutschland von ihrem nicht-jüdischen Ehemann scheiden lassen. In den USA heirateten sie wieder und bekamen zwei Söhne, die sich erinnern, dass ihre Eltern immer am Tag der ersten Heirat in Deutschland - und nicht am Tag der Heirat in den USA - ihren Hochzeitstag feierten. Die weiteren Stolpersteine für die Familie spendeten: Susanne Deickert, Jürgen Keller, Lothar Distler, Gerlinde Hornickel und jemand, der nicht genannt werden möchte.

Ludwig Reimer (1893-1974) wohnte in der Karl-Marx-Straße 7. Der gelernte Maurer war überzeugtes SPD-Mitglied und arbeitete nach ihrem Verbot im Juni 1933 im Widerstand. Wegen der Kurierdienste für die SPD (Verteilung des „Kleinen Vorwärts“) und der Teilnahme an der „Sozialistischen Aktion“ in Ludwigshafen wurde er der „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Über fünf Monate lang war er im Gefängnis Ludwigshafen in Haft. Diesen Stolperstein stiftete der Liedermacher Uli Valnion selbst, da er auch eine persönliche Beziehung zu ihm hatte. Seine Frau Ute verlas das Schicksal und Valnion sang ein Lied, dem alle nachdenklich lauschten. Auch andere, die gekommen waren, kannten Ludwig Reimer und berichteten von ihm, der übrigens ein erfolgreicher Gewichtheber des heutigen AC Mutterstadt war.

In der Speyerer Straße 34-36 lebte die Familie Dellheim zusammen mit dem Großvater Theodor Marx (1872-1958). Hier stellte Ortschronist Volker Schläfer das Leben der Familie vor, denn Werner Dellheim (1924-2016), der durch einen Kindertransport gerettet wurde, war ihm und auch dem Paten des Steins Herbert Metzger, persönlich bekannt. Werner Dellheim besuchte nach dem Krieg einige Male Mutterstadt und trug dazu bei, Vergangenes zu verarbeiten und Zerstörtes zu rekonstruieren. Sein Großvater Theodor und dessen Sohn Simon kamen 1955 aus dem Exil in Argentinien zurück. Die Protestantische Kirche Mutterstadt stiftete zwei, Volker Schläfer und Roland Strub je einen Stolperstein.

Zwei weitere Steine wurden danach in der Speyerer Straße 48 verlegt: An Ida Rockstroh geb. Dellheim (1897-1980) und ihren Sohn Karl (* 1987) wird hier gedacht, weil sie - Ida als Jüdin und Karl als Sohn einer „Mischehe“, denn der Vater Paul (1906-1945) war evangelisch - noch im März 1945 nach Theresienstadt deportiert werden sollten. Sie wurden gewarnt und konnten sich erst im Nachbarhaus und dann im katholischen Kloster Oggersheim bis zur Befreiung durch amerikanische Truppen verstecken. Ida Rockstroh starb 1980 und nach ihr wurde niemand mehr auf dem Jüdischen Friedhof Mutterstadt beerdigt. Die beiden Steine übernahmen Karin Nowak und Steffen und Sandra Reinheimer.

Zum Schluss bekamen Franziska und Otto Löb Erinnerungssteine vor dem Haus in der Speyerer Straße 86. Volker Schläfer berichtete, dass Mutter und Sohn im Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. Franziska konnte von ihrem jüngsten Sohn Moritz, der schon 1934 in Frankreich lebte, befreit werden und floh mit ihm und seiner Familie 1941 in die USA. Otto musste in Gurs bleiben und starb 1942 in Auschwitz. Sein Stein wurde von Familie Herbert Magin und der für Franziska von Heike und Peter Fehmel gespendet.

Bürgermeister Thorsten Leva sprach an dieser Stelle das Schlusswort und ein großes Danke-schön an alle Beteiligten aus, insbesondere an die Mitarbeiter des Bauhofes um Marvin Metzger, die die Verlegung begleiteten und jede Verlege-stelle vorbereitet hatten.

Eine fünfte Verlegung von Stolpersteinen wird es voraussichtlich im Frühjahr 2025 geben, einige Stifterinnen und Stifter sind bereits vorgemerkt.

Adresse
Opfer
Opferdaten
Schicksal
Spender
Luitpoldstraße 14 Johannes Bähr 1902-1980 Haft Eberhard Dittus
Luitpoldstraße 22 Helene Löb
Hermann Löb
Johanna Löb
Lilli Löb
Hilda Löb
1880-1963
1874-1944
1906-1959
1907-2006
1913-2002
Deportation
gedemütigt
Flucht Frankreich
Flucht USA
Flucht USA
Susanne Deickert
Jürgen Keller
Gerlinde Hornickel, Lothar Distler
Silke Feichtl-Külper
anonym
Karl-Marx-Straße 7
Ludwig Reimer 1893-1974 Haft Uli Valnion
Speyerer Straße 34-36
Hedwig Dellheim
Jakob Dellheim
Werner Dellheim
Theodor Marx
Simon Marx
1872-1991
1895-1957
1924-2016
1872-1958
1899-1965
Flucht Argentinien
Flucht Argentinien
Kindertransport England
Flucht Argentinien
Flucht Argentinien
Volker Schläfer
Roland Strub
Herbert Metzger
Protestantische Kirchengemeinde
Protestantische Kirchengemeinde
Speyerer Straße 48 Ida Rockstroh
Karl Rockstroh
1897-1980
1929-1987
versteckt überlebt
versteckt überlebt
Karin Nowak
Sandra und Steffen Reinheimer
Speyerer Straße 56 Otto Löb
Franziska Löb
1901-1942
1873-1947
Deportation
Flucht USA
Familie Herbert Magin
Heike und Peter Fehmel

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